Weintrauben
haben befreiende Wirkung ?!
Gedanken und Anregungen
von Jean-Marie Dumaine und Frank Krajewski
Weintrauben oder: Weintrauben haben befreiende Wirkung
Polyphem, der Zyklop, traute seinem Auge nicht als er sah, wie Odysseus und seine Gefährten mit bloßen Füßen den flüssigen Inhalt aus den thrakischen Weintrauben pressten. Als der schlaue Grieche ihm anschließend den zum Probieren gab, konnte der Gigant nicht widerstehen und leerte den Bottich mit Riesendurst. Die folgende Umnebelung seiner Sinne führte dazu, dass er seinem Auge nie mehr trauen, konnte genotypisch und phänotypisch war er ja ohnehin nur mit einem einzigen ausgestattet, hätte also mit dem Zweiten gar nicht besser sehen können. Wir wissen aber auch, dass gequetsche Trauben gewöhnlich die Maischegärung zur Alkoholgewinnung durchlaufen müssen. Der Saft, den Odysseus anbot, konnte also keinen oder nur einen geringen Alkoholwert enthalten, dafür aber viel Zucker. Vielleicht war der Riese ja Diabetiker.
Immerhin hatte der Traubensaft für Odysseus befreiende Wirkung und wir haben gelernt, dass der damalige Wein aus Thrakien stammte, heute also dem Dreiländereck Bulgarien, Griechenland und Türkei zuzuordnen. In unsere Breitengrade gelangte die Traube wahrscheinlich aus dem Bereich Kaukasus, Iran und sie hatte auch einen festen Platz in der Arche des Noah.
Gäbe es einen Rangplatz von Früchten, die in der Bibel erwähnt werden, hätte die Rebe und ihre Trauben die Nase vorn. Ratingplatz Number One gewissermaßen, nämlich als eines der Symbole der christlichen Kultur. Ähnlich wie die Burgundertrüffeln und ihre Verwandten wandern auch die Weinreben immer weiter nach Norden, die klimatischen Veränderungen erlaubten es.
So hat einer unserer Freunde in Finnland bereits Reben und Trüffelbäumchen gepflanzt und wartet, Kellertechnik bei Fuß, auf die erste Ernte, wobei die Technik nur für die Weinbereitung installiert wurde. Leider offenbaren die Trüffelpilze ihre Früchte nicht so ausladend. Nun hieße es, Eulen nach Athen oder Wein in die Pfalz tragen, wenn wir uns in dieser Kolumne mit der Weinherstellung befassen würde. Was uns beschäftigt ist das Vorher und das Nachher der Traubenernte. Was produziert die Rebe, kulinarisch verwertbares, außer köstlichen Weinbeeren, deren Sprossen, streng genommen nicht als Trauben sondern Rispen erscheinen?
Nun gut, die Bezeichnung „Traube“ hat sich seit Jahrtausenden von Mund zu Ohr herum gesprochen und sie wurde Namensgeber für hunderte von Restaurants und Gasthäusern, meist noch mit „Zur“ versehen. Wir wissen sehr gut, wovon wir sprechen, denn Jean-Marie`s erste Wirkungsstätte in Deutschland war eng mit diesem Begriff verknüpft und er denkt gerne an diese Zeit zurück.
Das Traubenjahr beginnt 50 Tage nach Ostern, an Pfingsten. Jetzt erscheinen die ersten Traubenblüten und in den Weinanbaugebieten beginnt die Zeit der Traubenblütenfeste.
Dumaine: „Traubenblüten genießen? Geht das?“ werde ich manchmal ungläubig von Gästen gefragt. Ich antworte : „Sie tun es gerade! Als Amuse Bouche reichen wir heute Traubenblüten, Tempura fritiert oder einfach in Sirup kandiert und bei 80 Grad Celsius in Puderzucker getrocknet, als Ergänzung zum Dessert.“
Einige Wochen später locken die zarten Blätter, die, in Salzlake konserviert, und unter Milchsäuregärung fermentiert werden. Sie sind, mit Fisch, Fleisch oder Polenta gefüllt, eine Vorspeise, die ihresgleichen sucht, aber nicht finden wird.
Die frisch treibenden Halteranken laden dann zum Genuss ein, wenn sie unter dem sanften Druck zweier Finger zerbrechen. Also verwende ich nur die zarten Geize, die aber nicht am Geschmack geizen, vorher in Weinessig eingelegt, und die dann mit Rosinen und frischen Trauben zu einem Mousse als Rosinen-Kapern-Soße zubereitet werden. Bei Rosinen bin ich dann bereits jenseits der eigentlichen Traubenernte angelangt und habe meine Intention erfüllt.
Natürlich lassen sich aus frischen Trauben, neben der Weinherstellung, weitere phantasievolle und absolut köstliche Desserts zubereiten, diese Rezepte füllen bereits Bücherregale.Die Leserinnen und Leser, werden die befreiende Wirkung dieser Köstlichkeiten spüren und mit allen Sinnen und hoffentlich beiden Augen durch die Welt gehen. Polyphem war dieses leider, aus bekannten Gründen, nicht vergönnt. Vielleicht lebt er ja in Form der Polyphenole in den Trauben weiter.
Ein Beitrag von Jean-Marie Dumaine und Frank Krajewski